Die Glocken
Seit Sonntag, dem 10. November 1996, erklingt vom Turm der Stiftskirche ein sechsstimmige Geläute (s. Läuteordnung). Die alte Bronzeglocke von 1461, die älteste Bielefelds, lieferte den Grund dafür. Diese hatte den Einsturz des Turmes 1811 als einzige überstanden und war während der Weltkriege auch nicht eingeschmolzen worden. Über 500 Jahren aber hatten Spuren hinterlassen: Wo der Klöppel aufschlägt, war das Metall so dünn geworden, dass sie hätte zerspringen können. Durch Aufschweißen in einer Spezialfirma war sie zu retten.
Die beiden Eisenglocken von 1922, die als Ersatz für zwei beschlagnahmte Bronzeglocken aus dem 19. Jahrhundert gegossen waren, hatten die Grenze ihrer Lebensdauer erreicht und wären über kurz oder lang ausgefallen. Heute stehen sie zur Erinnerung auf dem Kirchplatz. Auf der CD "Kirchen in Schildesche – Glocken – Orgel – Chöre" sind sie noch zu hören.
Sie wurden durch fünf neue Bronzeglocken wurden ersetzt, gegossen von der Karlsruher Glocken- und Kunstgießerei. Die "Glockenzier" – Inschriften und Bildmotive stammen von der Künstlerin Rosemarie Vollmer aus Gondelsheim. Motiven des Altars der Stiftskirche gaben dazu Anregungen.
Jede von ihnen hat einen Namen. Ihre Inschrift informiert ferner über ihre Entstehungszeit und ihre Herkunft. Zusammen fügen sich die sechs Glocken der Stiftskirche durch ihre biblischen Aufschriften und ihre Bilder zu einer geistlichen Thematik zusammen.
Dabei beziehen sich die fünf neuen Glocken auf die alte von 1461. Ihre Inschrift ruft Jesus an als den König der Juden und widmet sie Maria und Johannes dem Täufer. Diese Motive wurden aufgegriffen und ergänzt: Die drei Hymnen aus dem Anfang des Lukasevangeliums kreisen um Jesus im Zusammenhang mit Maria, seiner Mutter, und Johannes dem Täufer. Sie umrahmen die Geburtsgeschichte Christi. Es handelt sich um das Magnificat, der Lobgesang der Maria, das Benedictus, der Lobgesang des Zacharias, des Vaters Johannes des Täufers, und das Nunc dimittis, der Lobgesang des Simeon.
Deren Anfänge bilden die Inschriften der drei mittleren Glocken am oberen Rand: "Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes meines Heilandes." - "Gelobet sei der Herr, der Gott Israels; denn er hat besucht und erlöst sein Volk." - "Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; den meine Augen haben deinen Heiland gesehen."
Um diese Vierergruppe bilden nun die beiden weiteren - die tiefste und die höchste - einen Rahmen. Auch sie greifen auf Hymnen des Neuen Testaments zurück. Ihr Thema aber ist Christus selbst. "Christus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, in welchem alles geschaffen" heißt es im Kolosserbrief. Christus ist das "Wort", das im "Anfang bei Gott" war, so beginnt das Jonannesevangelium. Beide Aussagen weisen auf den Ursprung, aus dem alles kommt, und erklären, dass Christus den Menschen mit seinem Ursprung in Gott verbindet.
I. Christusglocke, Ton d‘
Inschrift oberer Rand: CHRISTUS EST IMAGO DEI INVISIBILIS, PRIMOGENITUS OMNIS CREATURAE; QUONIAM IN IPSO CONDITA SUNT UNIVERSA IN CAELIS ET IN TERRA, VISIBILIA ET INVISIBILIA.
(Übersetzung: Christus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung; denn in ihm ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbaren und das Unsichtbare.)
Bildliche Darstellung: Christus-Monogramm, von zwei Händen getragen; davon gehen vier (Zahl Vier: Symbol des Kosmos und der Herrschaft Gottes) Linien aus, die den gesamten Glockenkörper umschließen.
Inschrift unterer Rand: HAEC CAMPANA A.D. MCDXLII FUSA + [CADENTE TURRI] A.D. MDCCCXI DESTRUCTA + DENUO FUSA A.D. MDCCCLXIX GLORIA IN EXCELSIS DEO + IN BELLO A.D. MCMXVII CONFLATA + FERRO RESTITUTA A.D. MCMXXII + AD MAIOREM DEI GLORIAM DENUO FUSA ET AMPLIFICATA A.D. MCMXCVI + (Gießerzeichen)
(Übersetzung: Diese Glocke wurde im Jahre Des Herrn 1442 gegossen, [beim Einsturz des Turmes] im Jahre des Herrn 1811 zerstört, von neuem gegossen im Jahre des Herrn 1869, im Kriege, im Jahre des Herrn 1917 eingeschmolzen, aus Eisen wieder hergestellt im Jahre des Herrn 1922, zur höheren Ehre Gottes von neuem gegossen und erweitert im Jahre des Herrn 1996.)
II. Alte Marien- und Johannisglocke, Ton e‘
Inschrift oberer Rand: + anno (B) d(omini) mo cccc(/B)lxi (B) ihesus (B) nasarenus (B) rex (B) iudeorum veni (B) cum (B) pace (B) in (B) honore (B) beatissime (B) irginis (B) marie (B) e(?) (B) ioh
(Übersetzung: Im Jahre des Herrn 1461. Jesus, König der Juden, komm in Frieden. Zu Ehren der seligsten Jungfrau Maria und des hl Johannes)
Bildliche Darstellung: Bogenfries mit stilisierten Blättern, unterbrochen durch ein Wappen des Propstes Lambertus de Bevessen († 1490 als Domherr in Osnabrück); es trägt als Überschrift dessen Namen.
Inschrift unterer Rand: + defunctos (B) plango (B) vivos (B) voco (B) fulgura (B) frango (B) vox (B) mea (B) vox (B) vite (B) voco (B) vos (B) ad (B) sacra (B) venite (B) rex caspar (B) rex (B) melchior (B) rex (B) balthasar
(Übersetzung: Tote betrauere ich, Lebende rufe ich. Meine Stimme ist die Stimme des Lebens, ich rufe euch, kommt zu den Gottesdiensten. König Kaspar, König Melchior, König Balthasar)
III. Nunc-dimittis-Glocke oder Simeonsglocke, Ton g‘
Inschrift oberer Rand: NUNC DIMITTIS SERVUM TUUM, DOMINE, IN PACE; QUIA VIDERUNT OCULI MEI SALUTARE TUUM.
(Übersetzung: Herr, nun läßt du deinen Diener in Frieden fahren; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.)
Bildliche Darstellung: Die Hände Simeons tragen Christus, symbolisiert durch ein Lichtmotiv, das in der Mitte ein Kreuz aus drei Linien (Hinweis auf die Trinität) enthält, darüber ein Ornament, das an eine Krone erinnert. Das Ganze ist eingefasst von einem Flügelpaar. Dieses soll möglicherweise symbolisieren, dass Simeon nun nicht länger auf der Erde bleibt, sondern die Reise in die Ewigkeit antreten darf, sich gleichsam aufschwingt zu seinem Gott.
Inschrift unterer Rand: + A.D. MDCCCLXIX FUSA + IN BELLO A.D. MCMXVII CONFLATA + FERRO RESTITUTA A.D. MCMXXII + AD HONOREM DEI DENUO FUSA A.D. MCMXCVI + (Gießerzeichen)
(Übersetzung: Im Jahre des Herrn 1869 gegossen, im Kriege 1917 eingeschmolzen, aus Eisen 1922 wiederhergestellt, zur Ehre Gottes von neuem 1996 gegossen.)
IV. Benedictus-Glocke oder Johannisglocke, Ton h‘
Inschrift oberer Rand: BENEDICTUS DOMINUS DEUS ISRAEL QUIA VISITAVIT, ET FECIT REDEMPTIONEM PLEBIS SUAE.
(Übersetzung: Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk.)
Bildliche Darstellung: Der ausgestreckte Finger Johannes des Täufers weist auf Christus als das Gotteslamm.
Inschrift unterer Rand: + A.D. MCMXCVI FUSA AD HONOREM DEI + (Gießerzeichen)
(Übersetzung: Im Jahre des Herrn 1996 gegossen zur Ehre Gottes.)
V. Magnificat-Glocke oder Marienglocke, Ton d‘‘
Inschrift oberer Rand: MAGNIFICAT ANIMA MEA DOMINUM, ET EXSULTAVIT SPIRITUS MEUS IN DEO SALUTARI MEO.
(Übersetzung: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes meines Heilandes.)
Bildliche Darstellung: Lilien (Mariensymbol), eingefaßt in eine an ein Herz erinnernde Form.
Inschrift unterer Rand: + A.D. MCMXCVI FUSA AD HONOREM DEI + (Gießerzeichen)
(Übersetzung: Im Jahre des Herrn 1996 gegossen zur Ehre Gottes.)
VI. Wortglocke, Ton e‘‘
Inschrift oberer Rand: IN PRINCIPIO ERAT VERBUM, ET VERBUM ERAT APUD DEUM, ET DEUS ERAT VERBUM.
(Übersetzung: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.)
Bildliche Darstellung: Vier parallele Linien (vgl. Glocke I) umspannen den ganzen Glockenkörper; sie sind durch Querbalken in Abschnitte unterteilt, in denen sich jeweils sechs Noten befinden: Hinweis auf die Wochen, in denen auf die sechs Werktage der Tag des Herrn folgt.
Inschrift unterer Rand: + A.D. MCMXCVI FUSA AD HONOREM DEI + (Gießerzeichen) NOCTE DIEQUE VIGIL DEPROMAM CARMINA CHRISTO.
(Übersetzung: Im Jahre des Herrn 1996 gegossen zur Ehre Gottes. Tag und Nacht will ich als ein Wächter Christus meine Lieder darbringen.)
Ein Geläute der Glocken besteht aus einer bestimmten Abfolge von Tönen, die zusammen harmonisch klingen. Es muss aber auch mit den Nachbarkirchen zusammenpassen, damit bei gleichzeitigem Läuten kein Missklang entsteht. Dabei kommt es jedoch nicht nur um den Hauptton an; eine ganze Reihe von Ober- und Untertönen bestimmen den Charakter einer Glocke mit.
Die Inschriften der neuen Glocken sind lateinisch - ihrer Beziehung zu der alten Glocke wegen. An ihrem unteren Rand sind Daten zu lesen - ein Stück Glockengeschichte. Zwei von ihnen erinnern an mehrere ihrer Vorgängerinnen. Außerdem tragen sie das Gießerzeichen der Karlsruher Glockengießerei.
Die Glocken sind zu hören auf der CD
"Kirchen in Schildesche
Glocken - Orgel - Chöre"
Inhalt: Alte und die neue Glocken der Stiftskirche in Teilgeläuten und als Plenum
Geläute der katholischen Kirche St. Johannes Baptist
Musik:
Josef Gabriel Rheinberger (1839 - 1901): Salve Regina Jakob Arcadelt (um 1510 - um 1567?): Ave Maria Vokalensemble der Marienschule der Ursulinen; Ltg.: G. Kunert
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 - 1847): Jauchzet dem Herrn alle Welt, Psalm 100 Johann Georg Ebeling (1620-1667): Die güldne Sonne Solisten, Kantorei der Stiftskirche; Ltg. : F. W. Eppinger
Johann Groh (1575-1627): Intrade in F Johann Pachelbel (1653-1707): Choralbearbeitung "Nun laßt uns Gott dem Herren" Johann Sebastian Bach (1685-1750): Liedsatz "Nun laßt uns Gott dem Herren" Posaunenchor der Stiftskirchengemeinde, Ltg: F.W Eppinger
Vincent Lübeck (1654-1740): Präludium in C Dietrich Buxtehude (1637-1707): Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ, Choralfantasie F.W. Eppinger, Orgel